Filmen für Anfänger – 3. Erste Gehversuche
Die Kamera ist gekauft und Du möchtest jetzt gerne loslegen. Vielleicht hast Du meine ersten Tipps aus den Teilen davor befolgt wartest nicht mit den ersten Gehversuchen bis zum dem Ereignis, was Du dann filmen möchtest, sondern willst erst wirklich die ersten Schritte an einfachen Beispiele ausprobieren. Damit stellt sich auch schon die Frage: Was filme ich als erste Übung? Da gibt es natürlich viele Möglichkeiten. Die ersten Versuche sollen ja nicht in einem hollywoodreifen Film enden, aber Du möchtest natürlich auch schon etwas durchaus Vorzeigbares machen, sozusagen als Übung für das eigentlich zu filmende Ereignis. Also Kamera ausgepackt, Akku aufgeladen und los geht’s.
Möglichkeiten für die ersten Gehversuche:
- Die Kirche und Umgebung in der Nähe
- Der Wochenmarkt am Samstag vormittag
- Das gerade stattfindende Volksfest
- Die eigenen Kinder oder Enkelkinder beim Spielen
- Ein Spaziergang entlang dem Fluss oder am See.
- Ein besonderer Platz in einer Großstadt, der Dich interessiert
- Ein Besuch im Zoo oder in einem Freiluftmuseum
- Die Burg oder das Schloss in der Heimatstadt
- Die Einkaufsstraße oder Fußgängerzone in Deiner Heimatstadt
Die Reihe könnte ich weiter fortsetzen, aber eins davon wird für Dich sicher dabeisein. Wichtig ist, dass Dich das, was Du für die ersten Gehversuche filmst, auch wirklich interessiert.
Suche Dir für die ersten Gehversuche ein einfaches Thema aus Deiner Umgebung, was Dich besonders interessiert. Dabei sollte ein halber Tag für die Aufnahmen genügen.
Als Erstes sollte Dir gleich klar sein, dass Film nicht Realität ist. Film ist das, was Du Deinen Zuschauern zeigen willst. Ist das langweilig oder uninteressant oder technisch nicht anzuschauen, werden sich die Zuschauer schnell abwenden. Also muss ich Interesse erzeugen und meine Filmaufnahmen interessant machen und von den Geschehnissen nicht ablenken. Später bei der Nachbearbeitung (In einem der nächsten Teile) muss ich den Film natürlich auch so zusammenbauen. Aber zuerst brauche ich das Material dazu.
Bevor Du mit dem eigentlichen Filmen beginnst, solltest Du Dir einige grundlegende Gedanken machen, was Du filmen willst. Das soll kein Drehbuch sein, aber ich muss mir ja was vornehmen. Wenn ich in die Stadt zum Filmen gehe, dann sage ich mir als Beispiel: ich will die Kirche, den Wochenmarkt und das Zentrum zeigen. Damit hat mein Film bereits eine erste Gliederung. Wenn ich im Zentrum bin und dort malt ein Künstler wieder große Bilder auf den Boden, dann will ich das auch filmen, weil mich das interessiert und es auch schöne Bilder sind.
Daraus kann ich schon eine Geschichte aufbauen. Wenn ich nach meinen ersten Überlegungen keine Geschichte aufbauen kann, wird mein Film vermutlich aus Einzelaufnahmen bestehen, die keinen Zusammenhalt haben. Natürlich kann es sein, dass sich die Geschichte erst dann ergibt, wenn ich filme, was mir vor die Linse kommt. Aber eine oder mehrere kleine Geschichten sollten sich auf jeden Fall ergeben, damit daraus ein Film werden kann. Diese kleinen Geschichten werden in meinem Film dann zu jeweils einer Sequenz, denn die Aufnahmen werden in einem gedanklichen oder räumlichen Zusammenhang sein.
Beispiel Sequenzen beim Kindergeburtstag:
- Familien mit ihren Kindern treffen ein, alle begrüßen sich
- Die Torte kommt, alle singen „Happy Birthday“
- Das Geburtstagskind pustet die Kerzen aus
- Übergabe der Geschenke
- Auspacken der Geschenke
- Das Geburtstagskind schneidet die Torte an
- Alle Kinder essen Torte
- Alle eingeladenen Kinder spielen mit den erhaltenen Geschenken
Natürlich werden beim Kindergeburtstag noch viele andere Sachen passieren. Ergeben sich daraus Sequenzen, dann kann ich die ja dazwischen einbauen. Diese hier aufgeführten Sequenzen sind nichts überraschendes beim Kindergeburtstag, also kann ich mich schon darauf im Geiste vorbereiten.
Suche Dir einzelne kleine Geschichten aus der Gesamtstory, das werden die Sequenzen in Deinem späteren Film.
Also filme ich meine Geschichte in kleinen Sequenzen, Häppchen sozusagen. Für jede dieser Sequenzen werde ich wie bei einer Geschichte üblich, eine Einleitung oder Übersicht und einen Höhepunkt. Nehmen wir doch mal den Künstler, der große Bilder in der Fußgängerzone malt.
Hier ist die filmische Geschichte:
- Einleitung: Übersichtsaufnahme, die zeigt um was geht es, also Totale in Fußgängerzone,
- Hinführung: mehrere Halbtotalen von Leuten, die kommen und auf den Boden schauen
- Um wen geht es: Details auf den Künstler
- Um was geht es: Details auf das unfertige Bild
- Höhepunkt: das fertige Bild in einigen kurzen Details und dann Totale, wie alle das fertige Bild ansehen
Das wäre also mein Grobraster. Ich rede hier von Totale, Halbtotale und Details, das sind drei verschiedene Grundeinstellungen für Aufnahmen. Im Fortgeschrittenenkurs gehe ich genauer darauf ein. Halbtotale bedeutet ganze Person, Detail bedeutet ein kleiner Ausschnitt, z.B. Hand oder Pinsel beim Malen. Natürlich gibt es noch mehr Einstellungsarten, aber für den ersten Versuch reicht zu wissen, man sollte möglichst viele Details machen, das macht einen Film viel spannender als nur lauter Totalen. Ausserdem kann man Totalen viel schlechter hintereinander schneiden. Da Du am Anfang Leute gefilmt hast, die kommen und runterschauen, solltest Du jetzt auch ein paar Gegenschüsse bzw. Aufnahmen für Zwischenschnitte drehen, damit Du später einfacher schneiden kannst. Diese Art von Aufnahmen sollten immer Halbnah oder Nahaufnahmen sein, also eine oder mehrere Personen ab Gürtel oder Brust aufnehmen, die interessiert zuschauen.
Drehe möglichst viele Details und Nahaufnahmen, die machen den Film spannend, vergesse nicht, auch Gegenschüsse zu drehen und achte auf die Anschlüsse.
Aber Vorsicht bei dem Künstler und seinen Utensilien. Es gibt immer eine imaginäre Achse von 180 Grad, die man nicht überschreiten sollte, da der Zuschauer sonst meint, der Künstler malt jetzt von der anderen Seite. Das nennt man einen Achsensprung. Bei einer Fußballübertragung wechselt die Kamera auch nicht auf die Gegentribüne, sonst meint der Zuschauer, die Szenen wäre aus zwei verschiedenen Halbzeiten, einmal nach links und in der nächsten Szene nach rechts kicken. Wenn der Künstler einmal sein Werkzeug links und dann wieder rechts ablegt, dann muss ich das filmisch einmal einfangen, sonst kommt es zu einem Sprung in der Fortsetzung (engl. Continuity) der Geschichte. Du kennst doch die Fehler in den professionellen Filmen: Einmal ist der Zigrattenstummel kurz dann wieder lang, oder das Telefon zuerst links am Ohr und in der nächsten Aufnahme dann rechts am Ohr.
Du solltest auch einige Zwischenaufnahmen einplanen, damit man später einfacher schneiden kann und Sprünge in der Geschichte damit unsichtbar werden. Schließlich will man nicht eine Stunde lang aufnehmen, bis der Künstler sein Bild fertig hat. Also nimmt man Personen ab Gürtel oder Brust auf, die interessiert zuschauen. Oder man macht Detailaufnahmen der malenden Hand oder der daneben liegenden Utensilien, das kann man später alles für Zwischenszenen verwenden. Ausserdem wird die Geschichte durch die Zwischenaufnahmen spannender. Sie sollten aber von der Szenerie nicht ablenken, Du solltest immer nah dranbleiben.
Drehe möglichst viele Details und Nahaufnahmen, die machen den Film spannend, vergesse nicht, auch Gegenschüsse zu drehen und achte auf die Anschlüsse.
Wenn die Szenen später zusammengeschnitten werden, dann muss es auch den Sehgewohnheiten entsprechen. Handlungsablauf muss also fortlaufend sein, Zeitverkürzungen sind mit Zwischenaufnahmen kein Problem. Schwieriger ist es, wenn ich statt einem malenden Künstler einen Musikanten filme, dann kommt noch die Tonspur dazu, auf die Du achten solltest. Schließlich sollen keine hörbaren Sprünge in der Musik sein. Das gilt aber auch für Nebengeräusche, ein vorbeifahrendes Auto, das man im Bild nicht sieht, ist mehr als störend. Am besten ist es, Du machst auch einige Aufnahmen einer Geräuschkulisse, dann kann man die störenden Geräusche evtl. später beim Tonschnitt ersetzen.
Sowohl in der Fotografie als auch beim Filmen redet man vom „goldenen Schnitt“. Dazu in einem der nächsten Kapitel. Wichtig ist im ersten Moment, dass man seine Aufnahmen von der Szenerie her „aufbaut“, also gerade bei Totalen und Halbtotalen das richtige Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund findet. Damit bekommt das Bild eine entsprechende „Tiefe“. Hilfreich sind Gegenstände im Vordergrund, die nicht stören. Wie ist es mit Gesichtern? Bei Nahaufnahmen sollte die Augenhöhe etwas oberhalb einer gedanklichen Mittellinie des Bildes sein, sonst wirkt es unnatürlich und die Person sollte auch nicht komplette aus dem Bild schauen.
Noch was Wichtiges zu den Sehgewohnheiten. Am Anfang neigt man dazu, gerade Kinder oder sitzende Personen von oben zu filmen. Filmisch bedeutet es aber, ich bin überlegen und das macht die unterlegenen Personen nicht sympatisch. Besser ist es auf Augenhöhe (ebenbürtig) zu filmen, kann aber auf Dauer natürlich auch langweilig sein. Du musst Dir also etwas Abwechslung überlegen.
Eine weitere Anfängerneigung gerade bei den ersten Gehversuchen sind Schwenks und Zooms. Die sind nur dann ok, wenn sie berechtigt sind, also ich möchte zuerst die Farbkreide zeigen und folge dann der Hand mit dem Kreide in der Hand zum Bild, was gemalt wird. Nicht berechtigt wäre, wenn ich zuerst die Kreide zeige und dann zum Künstler schwenke, der seine Kreide gerade weglegt, ich habe also keinen Grund für den Schwenk, im Gegensatz, er lenkt ab. Noch schlimmer ist es mit Zooms. Ich zoome auf das Gesicht des Künstlers und zeige anschließend das Gesamtbild; das ist natürlich falsch. Hinzoomen heisst auf etwas aufmerksam machen, was ich in den nächsten Aufnahmen zeigen und erklären möchte. Ein Wegzoomen geht noch eher, wenn ich z.B. von einem Detail des Bildes wegzoome, um das ganze Bild zu zeigen, dann ist es durchaus begründet. Ein Zoom ist ja eigentlich eine optische Vortäuschung einer Fahrt, die keine Fahrt ist. Wenn jeder merkt, dass es keine Fahrt ist, dann war der Zoom auch falsch eingesetzt.
Achte auf die Sehgewohnheiten, ebenso auf die Hörgewohnheiten. Am besten auf Zooms und Schwenks am Anfang verzichten. Eine Geschichte kann man filmisch immer ohne jegliche Zooms und Schwenks erzählen.
So jetzt haben wir gemeinsam schon viele wichtige Punkte für die ersten Aufnahmen durchgesprochen. Eines möchte ich aber noch loswerden. Ich werde immer gefragt, hast Du ein Stativ dabeigehabt. Ich sage oft nein, alles aus der Hand oder aufgelegt. Manchmal tue ich aber auch beim Schnitt nachhelfen, indem ich die Geschwindigkeit runtersetze, dann wirkt das Bild ruhiger, davon aber mehr beim Schnitt.
Die wichtigste Regel für die Kamera ist: Ist die Szenerie ruhig, was meistens bei den Totalen der Fall ist, dann sollte auch die Kamera ruhig sein. Natürlich ist dann ein Stativ am besten, aber man kann auch nachhelfen. Videokameras sind heute klein und man kann sie auch auflegen. Z.B. auf einer Mauer, auf einem Bank oder auch auf den Boden legen. Oder man hält die Kamera in der Hand und versucht den Körper ruhig zu halten. Man lehnt sich an einem Pfosten oder Laternenpfahl oder Hauswand an, der Unterarm dient dann fast als Stativ. Für solche Aufnahmen sollte man dann möglichst auch den Weitwinkel verwenden und nicht voll in den Zoom gehen. Ein einfacher Tipp ist auch, während der Aufnahme nicht zu atmen, da sich das auf die Körperbewegung und damit die Kamera auswirkt. Keine Angst, es erstickt ja keiner und ein paar Sekunden kann jeder die Luft anhalten, auch Du. Die nächste Stufe wäre dann ein kleines Stativ. Selbst ein 10-Euro-Stativ, das eigentlich für kleine Knipsapparate gedacht ist, bewirkt schon Wunder. Dann darf man aber während der Aufnahme, so wie auch beim Auflegen, die Kamera nicht berühren. Also entweder per Fermbedienung einschalten, oder man muss später den Anfang und das Ende der Aufnahme, wo es noch wackelt, einfach wegschneiden.
Wenn aber die Szenerie nicht ruhig ist, dann stört meistens die Hand Kamera wenig, ausser man macht Bewegungen, die den Bewegungen im Bild widersprechen. Wenn man ein Objekt mit der Kamera verfolgt, dann redet man von subjektiver Kamera und dann ist Wackeln in einem gewissen Rahmen sogar erwünscht.
Eine wichtige Regel ist auch, dass je mehr Weitwinkel, desto ruhiger die Kamera, ausserdem ist da das Anti-Wackelsystem der Kamera, was bei den neuen Kameras schon recht gut ist, sogaar hilfreich, weil es die Aufnahme noch mehr ruhigstellt. Erwarte aber keine Wunder davon. Eine verwackelte Aufnahme kann man nie ganz ruhig stellen, also schon bei der Aufnahme darauf achten.
Ein Stativ musst Du bei den ersten Gehversuchen nicht mitnehmen, aber versuche die Kamera ruhig zu halten bzw. bei Totalen aufzulegen. Ist die Szene ruhig, so sollte auch die Kamera ruhig sein. Ein verwackelte Kamera kann nur eine beabsichtigt subjektive Kamera sein.
Damit wären wir mit der Theorie am Ende, jetzt solltest Du also die Kamera selber in die Hand nehmen und Aufnahmen machen. Natürlich sind meine Tipps nur Anhaltspunkte, wenn Du sie aber beachtest, dann wirst Du sehen, dass wir in einem weiteren Teil mit dem Schnitt wesentlich weniger Probleme haben und das dann schon Dein erster Film rauskommt, der durchaus für Zuschauer sehenswert sein wird. Und wenn Du genug Praxis gesammelt hast, kann es an die eigentlichen Aufgaben gehen, wofür Du die Kamera gekauft hast, also den Kindergeburtstag, die Hochzeit oder den Urlaub. Dann wünsche ich für die ersten Gehversuche mit der Kamera „Gut Licht“.
Im nächsten Kapitel werden wir dann gemeinsam nochmal die Sachen durchgehen, die Du unbedingt vermeiden solltest und dann machen wir uns an den Schnitt ran.