Filmen für Anfänger – 4. Materialsichtung
Du bist gerade vom Filmen nach Hause gekommen, die ersten Gehversuche hinter der Kamera sind also absolviert und bevor wir uns gemeinsam an das Schneiden des Films machen, wollen wir eine erste Materialsichtung vornehmen und dabei überprüfen, ob Du alles beachtet hast, was ich Dir im letzten Teil versucht habe, nahe zu bringen. Es gibt beim Filmen einige Regeln, die man beachten sollte, aber es gibt auch einige Regeln, was man unbedingt vermeiden sollte. Das gilt auch schon für die ersten Gehversuche. Je früher man alles richtig macht, desto besser. Schau Dir also einfach in aller Ruhe die Aufnahmen an, die Du gedreht hast und überlege Dir bei jeder Aufnahme, ob sie für Deinen Film „verwendbar“ ist. Positivkriterien sind die Regeln aus dem Teil 3 und Negativkriterien sind die Punkte, die ich weiter unten aufzähle.
Hier geht es also um eine Materialsichtung, welche Aufnahmen Du für Deinen Film verwenden kannst und welche Du weglassen solltest. Am besten überspielst Du alle Deine Aufnahmen erstmal von der Kamera auf Deinen PC oder Schneidegerät. Eine erste Sichtung kann auf dem PC ohne den Einsatz eines Schnittprogramms erfolgen, indem Du die Szenen beurteilst und in verschiedene Ordner verschiebst. Am besten Du erstellt erstmal Ordner für die verschiedenen Sequenzen, die Du gedreht hast, damit werden die Szenen später beim Schneiden einfacher auffindbar. Falls alle Aufnahmen in einer Datei sind, musst Du technisch erst ein Szenentrennungsprogramm bemühen, um jede einzelne Aufnahme als eine Datei vorliegen zu haben.
Sequenzordner sind also Ordner, die dazu dienen, Deine Aufnahmen grundsätzlich zu unterteilen. Beim Kindergeburtstag können es genau die Punkte sein, die ich im vorigen Teil erwähnt habe, was also hintereinander alles passiert ist. Bei einem Stadtbummel könnte das als Beispiel etwa so ausschauen:
Beispiel für Sequenzen beim Stadtbummel
- Besuch Kirche 1
- Besuch Kirche 2
- Die Burg
- Alles am Rathausplatz
- Fußgängerzone
- Musikant in der Fußgängerzone
- Straßenmaler
Mit dieser Sequenzaufteilung löst man sich auch vom Gedanken, das alles im Film in der Reihenfolge sein muss, wie es gefilmt wurde. Mag das noch beim Kindergeburtstag notwendig sein, so ist das bei einem Stadtbummel auf jeden Fall egal. Hier geben die filmischen Höhepunkte den Ausschlag für die Reihenfolge. Dazu aber mehr beim Schnitt und Montage im nächsten Teil. Als Unterordner dieser Sequenzordner kannst Du Dir dann Ordner etwa folgende Ordner anlegen:
- Notwendig – Alle Aufnahmen, die für den Film absolut notwendig sind und die zumindest die Grundvoraussetzungen erfüllen
- Zwischenaufnahmen – Alle Nahaufnahmen und Details, die gut sind und damit als Zwischenszenen dienen können
- Nice To Have – Alle restlichen Aufnahmen, die „gut“ sind, aber nicht unbedingt im Film sein müssen
Jetzt gehst Du jede Aufnahme durch und sortierst sie ein. Aufnahmen, die im ursprünglichen Ordner verbleiben, sind voraussichtlich „Abfall“, also nicht gelungene Aufnahmen. Die kannst auch gleich wieder löschen.
Verteile Deine Aufnahmen bei der ersten Matrialsichtung auf verschiedene Sequenzordner. Innerhalb der Sequenzordner sollten nur „verwendbare“ Aufnahmen sein und nochmals nach verschiedenen Verwendbarkeitskriterien unterteilt sein.
Eine Aufnahme sollte gewisse Mindestkriterien erfüllen, damit Du sie bedenkenlos in Deine Sequenzen aufnehmen kannst. Tut es das nicht, solltest Du genau überlegen, ob Du diese Aufnahme wirklich brauchst. Ich drehe jetzt die Geschichte mal um und wir schauen uns gemeinsam einige Negativkriterien an, also das, was Deine Aufnahme nicht haben sollte.
Negativkriterien bei der Materialsichtung
Unscharfe Aufnahmen
Eine unscharfe Aufnahme ist eine Aufnahme, bei der das Objekt, was Du filmen wolltest unscharf ist. Solche Aufnahmen sollten gleich gelöscht werden. Das hat nichts mit Schärfentiefe zu tun. Ist nur die Umgebung unscharf abgebildet, das Objekt aber richtig, dann gibt es keinen Grund für eine Aussortierung. In den allermeisten Fällen wirst Du bei den ersten Gehversuchen die Schärfeautomatik der Kamera benutzt haben, in den meisten Fällen wird das auch gutgegangen sein. Aber manchmal stellt die Automatik nicht auf das richtige Objekt scharf und ab und zu sieht man das weder auf dem Display noch im Sucher. Deshalb sollte die Sichtung ja auf einem großen Monitor oder Fernseher erfolgen, dann entdeckt man solche unscharfen Aufnahmen. Ist die Aufnahme trotzdem essentiell für den Film, dann muss man überlegen, ob es vertretbar ist. Besser wäre es gewesen, wenn Du eine solche essentielle Aufnahme möglichst mehrmals drehst.
Unruhige Aufnahmen
Eine unruhige Aufnahme ist eine Aufnahme, die einfach zu viel verwackelt ist. Das ist allerdings subjektiv, denn wenn sich das Objekt bewegt, muss auch die Kamera nicht unbedingt ruhig sein, da das der Zuschauer im Ablauf nicht merken wird. Filmt man aber eine Totale mit einer Landschaft, dann sollte die Kamera auch ruhig sein. Also hast Du die Szene entweder vom Stativ gedreht, oder die Kamera aufgelegt oder im vollen Weitwinkel aus der Hand gedreht und der Stabilisator der Kamera hat die Unruhe ausgeglichen. Nichts ist im Film schlimmer, als eine verwackelte Kamera, solche Aufnahmen gehören aussortiert. Natürlich gibt es Ausnahmen von der Regel und eine Verwacklung kann gewollt sein, wenn z.B. jemand ein Erdbeben simulieren will. Das wird aber bei einem Stadtrundgang kaum der Fall sein. Wenn Dich anschließend bei der Filmvorführung jemand frägt, ob es in der Stadt während des Filmens ein Erdbeben gegeben hat, spätestens dann weisst Du, die Aufnahme hätte rausgehört.
Verreissen der Kamera
Ein weiteres Kriterium ist das Verreissen der Kamera (oder schnelle Schwenks) ohne einen bestimmten Grund dafür zu haben. Ist es passiert, dass Dich während des Filmens jemand angerempelt hat und Du damit die Kamera verrissen hast, dann mache die Aufnahme nochmal. Hast Du während des Filmens auf einmal eine neue Szene gefilmt, ohne dazwischen die Kamera abzuschalten, dann ist das kein Problem, wir werden die Aufnahme beim Schnitt entsprechend kürzen. Aber ein Verreissen oder ein schneller Schwenk, da musst Du schon eine gute Begründung haben, damit ich das im fertigen Film später akzeptieren kann.
Verfolgen eines Vorganges wie mit den Augen
Ein typischer Anfängerfehler beim Filmen ist das Verfolgen eines Vorganges wie mit den Augen. Da musst Du Dir beim Filmen einfach darüber klar werden, dass das Auge nicht Dein Filmobektiv ist. Wenn Du mit den Augen eine Szenerie verfolgst, gehen die Augen hin und her. Für die Aufnahme heisst es, mehrere Aufnahmen der Szenerie zu machen und sie anschließend beim Schnitt hintereinander zu montieren. Eine Ausnahme sind natürlich Fahraufnahmen. In dem Fall ist die Kamera auf einem Objekt, das sich bewegt, zu Fuß, per Fahrrad, per Auto, per Bahn oder sonstwie. Am wirkungsvollsten ist eine solche Aufnahme, wenn sich auch das gefilmte Objekt bewegt, das nennt man dann eine Verfolgungsfahrt, diese wirst Du aber bei Deinen ersten Gehversuchen kaum machen, deshalb reden wir darüber viel später.
Falscher Bildaufbau
Der Bildaufbau beim Film orientiert sich allgemein an der Fotografie. Ein falscher Bildaufbau beim Foto wird sich also bei einer Filmaufnahme genauso negativ auswirken. Gestandene Fotografen, die Filmen anfangen, können also ruhig diesen Absatz überspringen. Was ist aber ein guter Bildaufbau? Bedenke einfach, dass sich das, was der Zuschauer sieht, auf den Bildausschnitt begrenzt, er hat nicht die Informationen, die Du hast, weil Du live dabei bist. Das heisst jetzt natürlich nicht, dass Du nur Totalen machen solltest, damit der Zuschauer alles sieht, denn das geht gar nicht. Aber Du solltest die wichtigsten Regeln beachten: Eine Aufnahme, je totaler sie ist, sollte einen Vordergrund und einen Hintergrund haben. Der Horizont sollte dann möglichst gerade sein, Du willst ja dem Zuschauer schließlich nicht vermitteln, dass das Meer ausläuft oder die Ebene eine ziemliche Steigung ist. Auch sollte nach einer Grundregel der Horizont nicht unbedingt in der Mitte sein. Wenn Du einen Menschen aufnimmst, dann sollte er Kopf- und Kinnfreiheit haben, sonst schaut es aus, als würde sich dieser Mensch an den Bildrändern anstoßen. Ausnahme ist natürlich die Detailaufnahme, aber da sieht man dann nur ein Auge oder einen Finger. Auch sollte die aufgenommene Person nicht direkt aus dem Bild schauen, sondern eine Beziehung zum Raum in der Blickrichtung haben.
Zoom ins Nichts
Als Filmanfänger spielt man gerne auch mit den Möglichkeiten des Zooms und macht öfters einen unvorbereiteten Zoom ins Nichts. Ich hoffe, Du hast bei Deinem ersten Gehversuch auf das Zoomen ganz verzichtet. Wenn nicht, dann hast Du nur von einer Szenerie rausgezoomt, das können wir möglicherweise für einen Sequenzübergang brauchen. Du hast auch reingezoomt? Wenn Du auf die Kirchturmuhr gezoomt hast, dann brauchen wir anschließend eine Aufnahme aus dem Kirchturm. Wenn Du sie nicht hast, kannst auch die Zoomaufnahme entsorgen. Hast Du auf die Eingangstür der Kirche gezoomt? Dann hast Du sicher auch Innenaufnahmen der Kirche. Einen solchen Zoom können wir also möglicherweise beim Film verwenden, wenn wir anschließend alles richtig hintereinander schneiden.
Filmbomber
In Abwandlung des amerikanischen Begriffes „Fotobomber“ habe ich gerade den „Filmbomber“ erfunden. Wer oder was ist das? Naja, ganz einfach, jemand stört Deine Filmaufnahme. Du filmst das fertige Bild auf dem Boden in der Fußgängerzone und ein kleines Kind springt darauf rum und verdeckt das Motiv. Diese Aufnahme kannst gleich entsorgen, ich hoffe, dass ist Dir schon beim Filmen aufgefallen und Du hast die Aufnahme noch einmal gemacht. Das Gleiche kann Dir natürlich am Meer beim Aufnehmen des Sonnenuntergangs passieren, wenn direkt vor Deiner Kamera jemand durchgeht, das komplette Bild verdeckt und evtl. auch noch den Autofokus der Kamera durcheinanderbringt. Für solche Fälle braucht man notfalls Bodyguards, die man aber auch aus der eigenen Familie rekrutieren kann und die die Szenerie „sauber“ halten.
Achsensprung
Kommen wir zum letzten Negativkriterium. Ich hoffe, Du hast schon während der Aufnahme an die 180 Grad Linie gedacht. Obwohl sie nur imaginär ist, ich hoffe, Du hast sie nicht bei den Aufnahmen überschritten und wenn doch, dann mit entsprechenden weiteren Aufnahmen, die das zeigen. Falls Du das nicht beachtet hast, haben wir beim Schneiden das Problem mit dem Achsensprung. Wir werden also nur die Aufnahmen aus jeweils einer Richtung nehmen, die anderen Aufnahmen werden wir entsorgen. Ist ja nicht so schlimm, aber möglicherweise wäre ja schöne Aufnahmen dabei, aber einen Achsensprung merkt jeder Zuschauer sofort. Wenn also einer frägt, ob Du mit einem Zug dauernd hin- und hergefahren bist, obwohl Du nur eine Hinfahrkarte gekauft hast, hast Du schlechte Karten und bist in Erklärungsnöten.
Jetzt hoffe ich natürlich, dass Dir nach der Materialsichtung noch genug Material übriggeblieben ist, damit ein Film daraus entstehen kann. Jetzt aber nicht gleich aufgeben, auch guten Kameramännern passiert mal, dass sie vergessen, den Objektivdeckel abzunehmen. Dann haben sie auch zuwenig Material.
Sei ehrlich bei der Materialsichtung. Eine Aufnahme, die nicht gewisse Mindestanforderungen erfüllt, kann den Gesamteindruck des Films schon komplett stören. Gehe also die Negativkriterien durch und sortiere aus.
Das Ergebnis der Materialsichtung sollte bei Dir nun vorliegen, das heisst, wir haben alle Aufnahmen, die für den fertigen Film geeignet sind, in den verschiedenen Sequenzordnern und können uns nun im nächsten Teil an den Schnitt und die Montage unseres Films machen.
Natürlich sind meine Empfehlungen für die Materialsichtung und Sequenzaufteilung nur Tipps, wie man bei den ersten Gehversuchen schneller zum gewünschtem Ziel kommt. Es gibt Filmaufnahmen, die so unwiederbringlich sind, dass Du sie vielleicht doch in den fertigen Film aufnimmst, obwohl sie eigentlich nicht den Qualitätskriterien entsprechen. Je mehr man sich aber an die Tipps für die ersten Gehversuche hält, desto weniger solcher Aufnahmen wird es geben.